Lager 35/I
Die Soldaten waren nach bisher vorliegenden Berichten nach der großen Kampfhandlung bei Kandorovka von der Roten Armee im Raum Jelez gefangengenommen worden. Dies alles geschah im furchtbar kalten Januar des Jahres 1943 bei minus 40 °C. Es ist bislang nur zu vermuten, dass der Weg in das Lager nach Lebedjan zu Fuß zurückgelegt werden mußte. Dort im Lager fehlte es beinahe an allem. In der als Lagergebäude umgebauten Fabrikhalle waren mehretagige Holzroste eingezogen worden. Die Breite für die Position eines Insassen betrug nicht mehr als 25 cm, so dass derjenige, der seine Pritsche für kurze Zeit verlassen mußte, seinen Platz nach Rückkehr nur erzwingen konnte. Es blieb ihm dazu nichts anderes übrig, als sich zunächst auf zwei der bereits dort liegenden Kameraden obenauf zu legen, bis sich der vorige Zustand wieder einstellte. Da die Säle eisig kalt waren, konnte sich ein Gefangener nur durch die Körperwärme der anderen etwas wärmen. Es ist klar, daß in dieser verzweifelten Situation und den sofort aufkeimenden Durchfallerkrankungen ein Überleben kaum möglich war.
Das ehemalige Lager lag auf dem heutigen Gelände der Fabrik für Hydraulikpumpen.
Ich bat den Einlaßdienst des Werkes, ihren Vorgesetzten sprechen zu dürfen. Nach kurzer Zeit wurde ich zu einem Direktor dieses Werkes gebeten. Hier entspann sich ein Gedankenaustausch zu Berichten aus dieser Zeit. Es war traurig mit anzuhören wie er selbst jahrelang ergebnislos nach dem Bestattungsort seines Großvaters gesucht hatte. Er mußte nur ca. 200 km weit fahren, um bei Woronesh nach ihm zu suchen, und er hat diesen Weg immer wieder unternommen. Doch vergeblich, er fand keine Hinweise auf seinen Opa. Er mußte erfahren, dass dieser auf einer Lichtung in einen Hinterhalt geraten war und vor den Augen des noch in Deckung liegenden Sohnes von einer Maschinengewehrsalve niedergestreckt wurde. - Ich denke mitunter an diesen Enkel, den Direktor, an das schwere Schicksal seiner Eltern und Großeltern.
Er begleitete mich persönlich zum ehemaligen Lagergebäude, in dessem Anbau sich ein gerade eröffnetes, modernes Konstruktionsbüro befindet. Die Wege zum ehemaligen Lagergebäude waren asphaltiert und mit Tannen bestanden. Ein junger Kollege, der in der Schule die deutsche Sprache erlernt hatte, begleitete uns.