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Rudis Erfahrungen

Kohlengrube

Erinnerungen von Rudi
(† 14.09.2016)

Mit seiner Erlaubnis werden hier einige wahre Begebenheiten bzw. Sachverhalte geschildert. Ein solcher, heute jedoch nicht mehr nachprüfbarer Sachverhalt, bezieht sich auf die sogenannte Kohlegrube in Lebedjan. Danach befragte Einwohner sagen, es gab keine solche Grube, weil es in dieser Gegend weder Erz-, noch Kohlevorkommen jemals gab. Dennoch: Die Not dieser kalten Winter zwang zu ungewöhnlichen Maßnahmen. So wurde laut Rudi in der Tat ein eilends eröffnetes kleines Bergwerk bestiegen, um dort brennbares Material zu gewinnen. Doch lesen Sie selbst:

" ....die 'Kohlengrube' bestand aus einem brunnenähnlichen Eingang. In dieses ca. 10 Meter tiefe Loch wurden wir mittels geflochtener Weidenkörbe manuell zur immer unter Wasser stehenden Sohle hinunter gelassen. Von dort mußten wir in den waagrecht weiterführenden Stollen, der ca. 90 Meter tief war, die sehr schlechte, von Schiefer durchsetzte Kohle zu Tage bringen, um die staatlichen Gebäude und auch unsere Lagerküche damit zu beheizen. Der Brennwert war fast Null. Nach meinem kurzen Einsatz in der Grube wurde ich dem Waldkommando zugeteilt. In dieser Zeit wurde dieses 'Loch' modernisiert, so z.B. Aufzug mittels Motorkraft, Pumpe zum Entwässern des immer unter Wasser stehenden Stollens. Kleine Loren und Gleise wurden eingebracht. So viel mir noch bekannt ist, wurde dieses 'Loch' so Ende Mai 1946 stillgelegt, denn im Donezbecken wurden neue, riesige Kohlenflöze erschlossen.

.....die schieferhaltige Kohle mußten wir mittels Tragen (siehe Zeichnung) die ca. 5 km von der kleinen Halde (die tägliche Förderung soll nach Angaben von Kameraden ca. 1 bis 1,5 Tonnen betragen haben) bis zum Lager bringen. Wir mußten auf diesem Weg nach ca. 200 Metern an einem abgeschossenen deutschen Panzer vorbeigehen. Es soll der am weitesten nach Osten vorgestoßene deutsche Panzer gewesen sein. Lebedjan haben wir bei diesem Kommando nie berührt. Den Bahndamm haben wir vor der Bahnstation in südöstlicher Richtung überquert.".....

Waldlager Lebedjanka, Winter 1945/46 (ein Nachtrag)

"Diese Zeilen sind einem namenlosen, sehr christlich gläubigen, oberschlesischen Sanitätsgefreiten gewidmet. Leider gab es nur wenige solcher Menschen, die sich so selbstlos für uns aufopferten wie Josef, der selbst mit uns tagsüber mit den unmenschlichen Holztransporten, mit dem Schlitten zum 30 km entfernten Verlade-Bahnhof, Lew Tolstoj, unterwegs war. Trotzdem opferte sich Josef, abends und auch nachts für die kranken und verletzten Kameraden auf.

Auch Josef war wie wir selbst schon dem Ende nahe.

So möchte ich drei Begebenheiten niederschreiben, die ich selbst in den Wochen im Waldlager mit Josef erlebte.

Beim Bäumefällen erlitt ein Kamerad eine schwere Verletzung an der Wange. Ein Ast riss dem Kameraden die Wange bis zum Jochbein auf. Die Wange hing herab, das Jochbein lag offen da. Abends in der Baracke mußte ich auf Anweisung von Josef aus meiner Wattejacke Baumwollfäden ziehen. Diese kochte ich in meinem Kochgeschirr zehn Minuten aus. Vier Mann mußten nun den Kameraden festhalten und der Sanitätsgefreite nähte nun mit einer Nähnadel und den ausgekochten Fäden die hässliche Wunde zusammen.

Später im Juli 1946 traf ich diesen Kameraden wieder in Krasnogorsk, zwar mit einer unschönen großen Narbe, doch er hat überlebt.

In den folgenden Nächten klagte ein Kamerad an hohem Fieber, Atemnot und Halsschmerzen. Als sich Josef um den Kameraden kümmerte und im Hals nachsah, erblasste er. Er stellte fest, dass der Hals fast zu war und auf den Mandeln weisse Flecken zu sehen waren. Also wahrscheinlich Diphterie! Josef meldete diese Erkrankung sofort dem russischen Lagerkommandanten. Da aber alle Zufahrtswege tief verschneit und noch zusätzlich durch meterhohe Schneewehen unpassierbar waren, konnte der Kamerad nicht ins Lager 35/II zurückgebracht werden. Um den Kameraden nicht ersticken zu lassen, bastelte Josef aus einer leeren amerikanischen Oskar Meyr-Dose ein kleines Rohr, das er dem todkranken Kameraden in den Hals schob. Die unheimlichen Pfeiftöne höre ich immer noch, wenn ich nachts nicht schlafen kann. Auf jeden Fall überlebte dieser Kamerad noch die ca. drei Wochen , die ich noch in diesem Waldlager verbringen musste. Was aus ihm geworden ist, weiß ich leider nicht.

Als die Schneefälle nachließen, konnte nach vielen Tagen wieder 'Verpflegung' herangeschafft werden. Die russischen Bewacher, die ebenso wie wir Hunger erleiden mussten, bekamen eine Sonderzuteilung Salzheringe zugeteilt. Die übrig gebliebenen Gräten sammelte ein Kamerad auf, versuchte diese zu zerstampfen und verschlang sie gierig. In der Nacht wurden wir durch Schreie geweckt, der Kamerad krümmte sich vor Schmerzen. Josef stellte fest, dass sich die Gräten vor dem After zu einem großen Klumpen zusammengeballt hatten und nun den Körper auf dem normalen Weg nicht mehr verlassen konnten. Alle Bemühungen, diesen Klumpen durch den After zu entfernen, schlugen fehl. Als wir vom Baumfällen zurück kamen, hörten wir schon von weitem die Schreie dieses Kameraden. Um diesem gequälten Menschen zu helfen, entschloss sich Josef zu einem Schritt, den wohl heute jeder Mediziner für undenkbar halten würde. Wieder mussten vier Mann den Kameraden festhalten. Josef gab dem sich von Schmerzen geplagten Mann ein Stück Holz zum Draufbeißen und begann mit einer Rasierklinge den Schließmuskel und den After so weit aufzuschneiden, damit ein Tennisball großer Grätenklumpen entfernt werden konnte. Danach wurden die Schnitte, soweit es möglich war, mit einer gebogenen Nähnadel und Zwirn zugenäht. Dieser Kamerad hat überlebt, mit welchen Folgen kann ich nicht sagen.

Ich war ja der Jüngste in diesem Lager und hatte mit Josef ein Verhältnis wie Vater und Sohn. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich nach meinem körperlichen Zusammenbruch zurück ins Lager 35/II gebracht wurde, sonst hätte ich wahrscheinlich auch nicht überlebt. Trotz aller Bemühungen konnte ich Josef nicht mehr ausfindig machen, er war ja schon selbst am Ende, als wir uns verabschiedeten. Josef war ein Mensch wie es nicht viele gab in dieser schweren Zeit.

Josef wird wohl für immer ein Namenloser bleiben. Ich selbst habe ihm diesen Namen gegeben, denn diesen hätte er sich aus christlicher Sicht auch verdient. In diesen fürchterlichen Wochen und Tagen im Waldlager war sich jeder selbst der Nächste um zu überleben, darum kenne ich leider nicht Josefs richtigen Namen.

Josef ist für mich der wahre Held."